Im Bereich des Internet of Things (IoT), insbesondere dessen industrieller Ausprägung (Industrial-IoT, auch IIoT), ist überwiegend von Use Cases die Rede. Damit gemeint sind konkrete Anwendungs-Ideen, bei denen industrielles Equipment miteinander vernetzt wird – häufig unter Verwendung von Internet-Technologien. Dabei kommt die Frage nach dem konkreten, geschäftlichen Nutzen auf.
Einleitung, harte Nutzenfaktoren
Harte Nutzenfaktoren sind Geld, Zeit, Menge und Qualität. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die Nutzenelemente Zeit, Menge und Qualität sich im Betriebsergebnis ebenfalls als Geld niederschlagen. Eine Zeitersparnis bedeutet freiwerdende Ressourcen, die gewinnbringend eingesetzt werden können. Eine größere Menge (produzierter Produkte beispielsweise) ermöglicht mehr Absatz. Eine Verbesserung der Qualität führt dazu, dass Reklamationen vermieden werden und für das Unternehmen somit kein Aufwand für Nachbesserungen anfällt.
Die einfachste Methode zur Bewertung harter Nutzenfaktoren ist wenig überraschend. Ist die Differenz aus erwartetem Nutzen (als Geldbetrag ausgedrückt) und erwarteten Kosten positiv, so könnte sich die Investition lohnen. Die nachfolgende Grafik veranschaulicht dies.
Dies ist natürlich eine vereinfachte Darstellung einer Kosten-/Nutzenanalyse und könnte beliebig komplex werden. Hier wird mit harten Nutzenfaktoren gerechnet: 5% weniger Stillstand, 100 zusätzliche Gutteile, 3 kg weniger Materialeinsatz, etc.
Darüber hinaus können häufig “weiche” Nutzenfaktoren identifiziert werden, die sich schwer als Geldbetrag ausdrücken lassen. Sie gehen jedoch zu einem wesentlichen Teil in die Entscheidungsfindung ein und können daher nicht einfach ignoriert werden.
Bewertung weicher Nutzenfaktoren
Um diese Faktoren, an die nicht ohne Weiteres ein Preisschild gehängt werden kann, soll es in diesem Beitrag gehen. Beispiele für weiche Nutzenfaktoren sind:
- eine zunehmende Erkenntnis über – und damit Vertrauen in – den Produktionsprozess
- leichtere Beherrschbarkeit eines zunehmend komplexeren Produktionssystems
- Einsatz von aktuellen Technologien, mit denen Sie Erfahrung sammeln möchten
Eine gute Methode zur strukturierten Bewertung dieser Faktoren ist die Nutzwertanalyse. Hiermit lassen sich sowohl Alternativ- als auch Priorisierungsprobleme angehen. Sie basiert auf dem “teile und herrsche”-Prinzip: die Zerlegung des komplexen Problems in einzelne Fragestellungen, die dann unabhängig betrachtet werden können. Am Schluss werden diese Ergebnisse zusammengeführt und es entsteht ein “Punktestand” zwischen verschiedenen Alternativen.
Veranschaulichung
Zur Veranschaulichung soll ein Beispiel dienen: Nehmen wir zwei preislich ähnliche Lösungen (X und Y) an. Sie möchten anhand von Nutzenfaktoren, die Ihnen wichtig sind, ein Entscheidungsproblem lösen: Ist Lösung X oder Y für Sie die bessere?
Nehmen wir an, Sie haben drei Faktoren identifiziert, die Ihnen neben dem Preis wichtig sind:
A | umfangreiche Dokumentation mit vielen Beispielen |
B | Support durch den Hersteller |
C | leichte Erweiterbarkeit bei neuen Use Cases |
Diese Faktoren nenne ich im Folgenden “Kategorien”, denen ich zur besseren Übersicht gern Buchstaben gebe, weil wir mit Zahlen später noch genug hantieren.
Nun bekommt jede Kategorie einen Punktwert zwischen 1 (weniger wichtig) und 10 (sehr wichtig). Nehmen wir an, die gute Dokumentation ist Ihnen wichtig und erhält eine 7/10. Der Hersteller-Support sollte vorhanden sein, Sie erwarten aber von der Lösung, dass sie den Support eigentlich nicht brauchen. Kategorie B bekommt also eine 5/10. Die leichte Erweiterbarkeit ist absolut wichtig, weil Sie neue Ideen schnell umsetzen wollen und Kategorie C erhält damit eine 10/10. Das Grundgerüst unserer Nutzwertanalyse sieht also wie folgt aus:
In der ersten Spalte stehen die Kategorien. Danach werden die Punktwerte eingetragen und deren Summe gebildet. Per Dreisatz lässt sich dann das Gewicht der jeweiligen Kategorie errechnen. Die Summe der Gewichte ergibt immer 100,00.
Bewertung der Kategorien
Lösung X kommt mit ausgiebiger Doku inklusive Beispielen. Allerdings ist es eher ein Expertensystem, braucht viel Anlernzeit und ist wenig intuitiv. Der Support ist Community-basiert. Die Antwortzeit kann ebenso wie die Qualität der Antworten stark schwanken.
Lösung Y ist etwas knapp dokumentiert. Die Konfiguration ist dafür sehr intuitiv und man kann das System in kurzer Zeit anpassen. Der Hersteller verspricht sehr schnell auf Support-Anfragen zu reagieren.
Auf diesen Informationen aufbauend kommen Sie zu folgenden Einschätzungen:
Lösung X | Lösung Y | ||||
Kategorien | Kommentar | Bewertung | Kommentar | Bewertung | |
A | ausgiebige Doku | 9 | Doku etwas knapp | 4 | |
B | unklare Antwortzeit und -qualität | 4 | schnelle Antworten | 9 | |
C | schwierig erweiterbar | 5 | leicht erweiterbar | 10 |
Die Bewertungen werden nun in die zuvor gezeigte Tabelle eingetragen. Die zugehörigen Punktwerte berechnen sich dann aus Bewertung * Gewicht. Der höchstmögliche Punktwert je Lösung beträgt 1000,00.
Hier zeigt sich eine Stärke der Nutzwertanalyse: Die unterschiedlichen Gewichtungen. Da Kategorie A eine höhere Gewichtung als Kategorie B hat, erhält Lösung X für seine 9 einen höheren Punktwert (gelbe Markierung) als Lösung Y in Kategorie B (blaue Markierung). Hier hätte sich also schon ein Sieger herausstellen können. Durch Kategorie C mit der höchsten Gewichtung (wir erinnern: leichte Erweiterbarkeit war am wichtigsten) konnte Lösung Y mit voller Punktzahl noch an die Spitze gehen.
Fazit
Die hier vorgestellte Methode eignet sich hervorragend, um Entscheidungsfragen dokumentierbar und nachvollziehbar anzugehen. Dies erleichtert die Kommunikation innerhalb des Teams und gegenüber Stakeholdern.
Als Entwickler und Entscheider sind wir mittlerweile nicht mehr nur mit 3 oder 5 Steuerungs-Herstellern, die in Frage kämen, konfrontiert – sondern mit einer ungleich höheren Anzahl an bspw. IoT-Plattformen, die um unsere Gunst buhlen.
Angesichts der Vielzahl an ähnlichen Produkten, deren komplexen Features und den individuellen Anforderungen eines jeden Projekts denke ich, dass die hier gezeigte Herangehensweise einen Beitrag zu erfolgreicher Entscheidungsfindung für industrielle Projekte bieten kann.